Crow’s Corner

Achtsam am Spieltisch: Ein Leitfaden für RPG Safety Tools


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Die Freude einer einzelnen Spieler:in sollte niemals wichtiger sein als die Sicherheit oder das Wohlbefinden einer anderen.

Tabletop-RPGs sollen kollaborativ, kreativ und – vor allem – sicher sein. Nicht alle Spieler:innen bringen dieselben Lebenserfahrungen mit an den Tisch. Was für die eine Person „nur ein Spiel“ ist, kann für jemand anderen zutiefst unangenehm oder sogar retraumatisierend sein. Das gilt besonders für marginalisierte Gruppen, deren Sicherheit in vielen sozialen Situationen nicht selbstverständlich ist. Als GMs sollten wir unser Bestes tun, ein Spiel zu ermöglichen, in dem sich alle sicher fühlen und Spaß haben – und Safety Tools sind ein relativ einfacher Weg, genau das zu erreichen.

Im Laufe der Jahre habe ich in den unterschiedlichsten Gruppen, Vereinen, Communities, Conventions und privaten Runden gespielt und viele verschiedene Ansätze erlebt, wie Safety Tools umgesetzt (oder vernachlässigt) werden. Manche Gruppen sprechen darüber, scheitern aber in der Umsetzung (siehe den DOs-and-DON’Ts-Teil meines Artikels), während andere annehmen, dass Vertrautheit unter Spieler:innen ausreicht und daher keine Safety Tools nötig sind. Ich selbst bin in der Vergangenheit in diese Falle getappt. Meiner Erfahrung nach kann das schnell zu Missverständnissen, Spannungen, anhaltenden negativen Gefühlen oder sogar zum Verlassen eines Tisches oder einer Community führen.

Es gibt viele verschiedene Tools zur Auswahl. In diesem Artikel werde ich einige davon vorstellen – und erklären, wie man sie effektiv einsetzt. Sie helfen nicht nur, Probleme zu vermeiden, sondern ermöglichen es auch, schwierige Themen mit Zuversicht anzugehen.

Überblick über einige Safety Tools

Im Folgenden Abschnitt findest du eine Auswahl der Safety Tools, die ich in meinen Spielen nutze (und noch einige weitere). Welche ich verwende, hängt meist von der Art des Spiels ab, und ich kombiniere in der Regel zwei bis fünf davon.

Tools vor dem Spiel

CATS steht für Content, Aim, Tone und Subject Matter (Inhalt, Ziel, Ton und behandelte Themen). Es dauert nur wenige Minuten und eignet sich hervorragend, um erste Erwartungen zu klären und als Ausgangspunkt um Lines & Veils zu verhandeln. Ich nutze es in jedem Spiel, bei dem es die Chance gibt, dass jemand das System noch nie gespielt hat. Weitere Infos darüber auf 200wordrpg.github.io.

Lines & Veils (Grenzen und Schleier) wurden erstmals von Ron Edwards in einer Erweiterung für das RPG Sorcerer erwähnt. Lines sind Themen, die nicht diskutiert oder Teil einer Session sein werden. Veils sind Themen, die auftauchen dürfen, aber nicht im Detail beschrieben werden oder „off-screen“ stattfinden. Gib Spieler:innen immer die Möglichkeit, Themen hinzuzufügen oder anzupassen. Es ist schnell und leicht umsetzbar und bietet damit eine verlässliche Grundlage für jede Session, unabhängig vom Tonfall des Spiels.

Das Palette Grid ist eine erweiterte Version von Lines & Veils, bei der man zwischen unangenehmen Themen und solchen unterscheiden kann, die man trotz Risiko erforschen möchte. Ich verwende es in Spielen, bei denen ich erwarte, dass mehrere riskante Themen auftauchen werden. Mehr dazu auf possumcreek.medium.com.

Consent Checklists sind praktisch, wenn du eine breite Themenpalette abdecken möchtest – etwa in einer Kampagne oder wenn die Antworten anonym bleiben sollen. Es ist im Grunde eine lange Themenliste, bei der Spieler:innen auswählen können, was sie vermeiden möchten. Standardmäßig ist sie auf „Opt-in“ ausgelegt, nicht auf „Opt-out“. Lies mehr darüber auf montecookgames.com.

Tools während des Spiels

Die X-Karte, ursprünglich von John Stavropoulos eingeführt, ist wahrscheinlich das einfachste Tool – und genau deshalb nutze ich sie in vielen meiner Spiele. Jeder kann die X-Karte antippen, sobald sie oder er sich unwohl fühlt oder unsicher ist. Der GM/die Gruppe passt die Inhalte an, und es muss keine Erklärung gegeben werden, außer die Person möchte es selbst. Mehr dazu auf montecookgames.com.

Script Change (Skriptänderung) von Beau Jágr Sheldon ähnelt der X-Karte, erlaubt den Spieler:innen aber genauer auszudrücken was sie sich wünschen. Es gibt Auswahlmöglichkeiten wie „Pause“, „Resume“, „Rewind“ oder „Fast Forward“. Ich nutze es oft in erzählerisch fokussierten Spielen, in denen Spieler:innen stärker in die Gestaltung der Geschichte eingebunden sind. Mehr dazu auf thoughty.itch.io.

Das Ampel System oder die XNO Karten basieren auf der X-Karte, fügen aber zwei weitere Karten hinzu: Rot/Gelb/Grün oder X (Stopp)/N (No)/O (Okay). X oder Rot bedeutet: volle Bremse, eine Grenze, die nicht überschritten wird. N oder Gelb ist eine Warnung: die Szene bewegt sich vielleicht in Richtung X, oder es ist Zeit, einen Schleier darüber zu legen. O oder Grün signalisiert, dass alles in Ordnung ist und man in der Szene bleiben möchte. Es kann auch genutzt werden, um bei Spieler:innen nachzufragen, ob sie noch okay sind. Besonders hilfreich in emotionalen oder konfliktreichen Szenen. Ich verwende es oft in Gruppen die regelmäßig in riskante Themen gehen (z. B. PvP). Du kannst auch UNO-Karten in Rot/Gelb/Grün benutzen, falls du keine speziellen Karten hast.

Eine Open Door Policy bedeutet, dass Spieler:innen jederzeit das Spiel verlassen oder eine Pause machen können (auf erwachsene Weise). Das kann für eine Toilettenpause sein, eine emotionale Pause oder sogar, um die Sitzung zu verlassen – ohne Rechtfertigung. Am Ende des Tages spielen wir ein Spiel, und manchmal haben Menschen einfach zu viel um die Ohren. Als GM ist es nicht unsere Aufgabe, ihre Prioritäten zu bewerten. Wenn du eine feste Anwesenheit für eine Kampagne brauchst, solltest du das in Session 0 klarstellen.

Tools nach dem Spiel

Stars and Wishes (Sterne und Wünsche) ist ein Tool für positives Feedback und konstruktive, zukunftsgerichtete Kritik. Es kombiniert die Hervorhebung gelungener Aspekte mit Raum für Wünsche für die Zukunft des Spiels. Ich versuche, es in all meinen Spielen einzusetzen. Mehr dazu auf gauntlet-rpg.com.

Auch ein Debrief in anderer Form ist möglich. Über die eigenen Gefühle und Erkenntnisse der Sitzung zu sprechen, hilft, zwischen den Emotionen der Figur und den eigenen zu unterscheiden. Es ist immer eine gute Idee, deinem GM zu sagen, welche Teile der Sitzung dir gefallen haben. Versuche, auf einer positiven Note zu enden. Feedback ist stets optional. Ich mache das vor allem dann, wenn ich an einem Tag kein ausführliches Feedback aufnehmen möchte.

Wie man Safety Tools erklärt

Wenn du Spiele für komplett neue Spieler:innen leitest (oder für Spieler:innen, die noch nie Safety Tools benutzt haben), nimm dir die Zeit, sie zu erklären und zu erläutern, warum du sie einsetzt. Safety Tools existieren, um die Chance auf Schaden oder Belastung zu verringern – nicht nur Überraschung oder Unbehagen.

Jemand bei seinem allerersten Spiel könnte überrascht oder irritiert sein, wenn du plötzlich riskante Themen in alle Richtungen wirfst. Mach klar: Nur weil ein bestimmtes Thema unter Veils oder in einer Consent Checklist aufgeführt ist, heißt das nicht, dass es unbedingt in der Session vorkommen muss.

Stell die Tools vor, die du benutzt, und zeig, wie man sie tatsächlich anwendet, damit neue Spieler:innen vorbereitet sind und mit Selbstvertrauen ins Spiel gehen können.

Safety Tool Checkliste

Vor dem Spiel

Am Anfang des Spiels

Während des Spiels

Nach dem Spiel

Safety Tools effektiv nutzen – DOs und DON’Ts

DON'T - Verlange nicht von Spieler:innen, dass sie rechtfertigen müssen, warum sie ein bestimmtes Thema nicht sehen wollen.

DON'T - Verlasse dich nicht allein auf „gesunden Menschenverstand“ oder denke, dass du alle möglichen riskanten Themen kennst, die in deiner Session auftauchen könnten. Jede Lebenserfahrung ist anders, und was für dich okay wirkt, kann für jemand anderen schädlich sein.

DON'T - Geh nicht davon aus, dass du deine Spieler:innen gut genug kennst, um ganz auf Safety Tools zu verzichten.

DON'T - Leite keine öffentlichen Spiele und/oder Spiele mit Fremden ohne Safety Tools.

DON'T - Nutze Safety Tools nicht als Ersatz für Diskussion. Diese Tools sind unterstützend, aber kein Ersatz dafür, Grenzen zu besprechen und etwas zu sagen, wenn du merkst, dass sich jemand unwohl fühlt.

DON'T - Zähle nicht einfach auf welche Themen im Spiel vorkommen werden, und geh dann sofort weiter.

DO - Warne deine Spieler:innen vor riskanten Themen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in deinem Spiel vorkommen werden, und erstellt eine finale Liste der alle zustimmen. Gib jedem Raum, auch widersprechen zu können.

DO - Stelle von Zeit zu Zeit Rückfragen, vor allem wenn du neue oder unerfahrene Spieler:innen hast. Überprüfe und überdenke die vereinbarten Themen auch regelmäßig während Kampagnen.

DO - Normalisiere die Nutzung von Safety Tools. Ermutige Spieler:innen, sie auch bei kleineren Dingen einzusetzen. Nutze sie selbst.

DO - Versuche wirklich, dich an die Regeln zu halten, die ihr für den Tisch aufgestellt habt. Fehler passieren, und es kann immer sein, dass ein Thema auftaucht, das eigentlich ausgeschlossen war (oder nie explizit zugelassen wurde, je nach Tool). Wer das bemerkt, sollte es ansprechen können. Das muss niemanden an den Pranger stellen – Tools wie die X-Card sind ein gutes Signal, ein Thema zu beenden. Es ist immer eine gute Idee, sich zu entschuldigen, wenn du ein Thema eingebracht hast, das für jemanden unangenehm war oder sie oder ihn unsicher gemacht hat – auch wenn es aus Versehen war. Mehr dazu bei montecookgames.com.

DO - Greife ein, wenn du unsicheres Verhalten oder problematische Machtgefälle am Tisch bemerkst. Beispiele: neue Spieler:innen die von Veteranen eingeschüchtert werden; Spieler:innen die nichts sagen wenn ihre Grenzen überschritten werden; oder Spieler:innen aus marginalisierten Gruppen, die Mikroaggressionen oder Stereotypisierung gegen sich oder den Charakter erleben ohne dass das vorher abgesprochen war.

DO - Kenne den Unterschied zwischen Stereotypen und schädlichen Stereotypen. Tabletop-RPGs leben stark von Stereotypen (z. B. der edle Paladin, der seine Eide zu ernst nimmt). Sei dir nur bewusst keine schädlichen zu verwenden.

DO - Übernimm Verantwortung dafür eine vielfältige Geschichte zu erzählen, und frag Spieler:innen, welche Geschichte sie mit ihren Charakteren erzählen wollen. Recherchiere über marginalisierte Gruppen denen du nicht selbst angehörst, und wie du sie darstellen kannst, ohne Schaden anzurichten – falls sie Teil deines Spiels sind. Zu marginalisierten Gruppen gehören auch Frauen.

Aber was, wenn ich mein Spiel ohne dieses Thema nicht spielen kann?

Sei von Beginn an offen darüber. Es ist schwer, ein Vampir Spiel ohne Blut zu spielen. Ein Cyberpunk Spiel ohne Waffen. Manchmal ist ein Thema so zentral für ein Spiel, dass es nicht geändert werden kann. Sag deinen Teilnehmer:innen die Themen des Spiels so früh wie möglich (am besten schon vor dem Treffen), damit sie eine informierte Entscheidung treffen können, ob sie dieses Spiel spielen wollen.

Aber was, wenn mein Spiel von einem Plot Twist abhängt, den ich meinen Spieler:innen vorher nicht verraten kann?

Wenn es eine langfristige Gruppe ist oder eine Gruppe, die Zeit hat eine vollständige Consent Checkliste auszufüllen (siehe montecookgames.com) ist das der richtige Weg. Sie werden nicht wissen, welches der Dutzenden Themen denen sie zugestimmt haben am Ende dein Twist oder Finale ist. Denk daran: Benutze trotzdem Tools wie die X-Card, damit Spieler:innen ihre Zustimmung widerrufen können, falls es zu intensiv wird.

Für offene Tische oder andere Situationen, in denen eine vollständige Liste nicht praktikabel ist? Leite dieses Abenteuer einfach nicht. Keine Geschichte ist wichtiger als die Menschen, die daran teilnehmen. Egal wie großartig du deinen Twist findest – es ist es nicht wert, jemanden zu traumatisieren. Das hier ist kein Buch oder Film, den Konsument:innen jederzeit weglegen oder ausschalten können. Das ist ein Spiel mit vier anderen Menschen, die direkt neben ihnen sitzen. Ganz egal, welche Safety Tools ihr benutzt – es wird immer einen gewissen sozialen Druck geben, weiterzumachen. Setze sie nicht diesem Druck aus. Leite das Abenteuer nur für Leute, die ihre begeisterte Zustimmung gegeben haben.

Fazit

Safety Tools mögen am Anfang einschüchternd wirken, wenn man sie in ein Spiel einführt. Aber sie sind unverzichtbar wenn du ein gesundes Spiel haben willst, in dem schwierige Themen selbstbewusst angegangen werden können. In dem Konflikte zwischen Charakteren dargestellt werden können, ohne Angst einander zu verletzen.

Wenn du allen am Tisch die Möglichkeit gibst ihre Gefühle zu bestimmten Spielinhalten auszudrücken, ermöglichst du, dass sie sich äußern, bevor sie einfach aussteigen. Am Ende stärkt der durchdachte Einsatz dieser Tools nicht nur das Spiel, sondern auch die Gruppe und die Geschichte, die ihr gemeinsam erzählt.

Weitere Artikel und andere Quellen